Interview mit Prof. Dr. Wolfgang-Michael Franz

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Prof. Dr. Wolfgang-Michael Franz, als VP Medizinischer Direktor und Leiter Business Development der SHL Telemedizin GmbH steht bei Ihnen der Patient im Mittelpunkt Ihres täglichen Handelns. Wie schätzen Sie den Fortschritt der Digitalisierung in Ihrem Bereich ein?

Die SHL Telemedizingruppe blickt auf eine langjährige Erfahrung im Bereich eHealth und viele Innovationen zurück. Seit der Gründung 1987 entwickelte die Gruppe Telemonitoring-Geräte zur Überwachung von Vitalparametern und zahlreiche Schulungsmodule, welche das Gesundheits-Coaching ergänzen. Die Programme sollen einerseits chronisch kranke Patienten und andererseits Patienten mit akuten Gesundheitsfragen unterstützen.

Durch randomisierte, kontrollierte Studien und Auswertungen der großen Versorgungsprogramme für Krankenkassen zeigt sich ein evidenter Fortschritt: Nicht nur Wirksamkeit, Versorgungsqualität und Mortalität, sondern auch Einsparungspotentiale können durch die gesundheitsökonomischen Analysen gezeigt werden. Jetzt gilt es diese Erkenntnisse im Sinne des Patienten umzusetzen.

Oft dauern Umstellungsprozesse viel zu lange. Wo sehen Sie Hemmnisse und Hürden, die eine schnelle Umsetzung der Digitalen Transformation verhindern?

Aktuell sind persönliche Kontakte in einem definierten lokalen Umfeld der Standard in der Versorgung. Es fehlt eine gemeinsame Gematik-Struktur und die transsektorale Vernetzung steckt noch in den Kinderschuhen.

Die Patienten haben Angst vor Datenmissbrauch, auch wenn sie digitale Lösungen bereitwillig annehmen. Ferner ist die Ärzteschaft hinsichtlich digitaler Lösungen sehr gespalten. Niedergelassene Ärzte reagieren oft mit Abwehr gegen die digitalen Unterstützungssysteme. Dies basiert einerseits auf der Sorge um die Datensicherheit, andererseits auf der Befürchtung durch „künstliche Intelligenz“ langfristig ersetzbar zu werden. Gleichzeitig entwickeln sich Bereiche der bildgebenden Medizin sehr rasant in Richtung Digitalisierung. Vor allem im Bereich der Radiologie entstehen derzeit sehr gut vernetzte Strukturen.

Wie sieht für Sie die digitale Zukunft, etwa in 20 bis 30 Jahren, idealerweise aus? Was wird sich verbessern und in welchen Bereichen werden sowohl Unternehmen als auch Patienten profitieren?

Voraussetzung für die effektive Digitalisierung im Gesundheitswesen ist im Klinikbereich die Verknüpfung der elektronischen Gesundheitsakte (ePA) mit den zentralen Labordaten und den Untersuchungsbefunden.

Im ambulanten Bereich ist derzeit eine Verbindung von ePA mit Fernbehandlung inklusive elektronischem Rezept (eRx) und Arbeitsunfähigkeits-bescheinigung (eAU) vorgesehen. Hierzu wird die Gematik die Voraussetzungen schaffen. In 10 Jahren wird das Gesundheitswesen komplett digitalisiert sein.

Ein weiterer wichtiger Baustein ist schon heute die telemonitorische Betreuung von chronisch Kranken, welche nicht nur die Patienten in ihrem alltäglichen Umgang mit ihrer Erkrankung unterstützt, sondern auch die behandelnden Ärzte durch gezielte Zuweisungen entlastet.

Dabei sehe ich in der Zukunft weitere Vorteile für alle Seiten: eine leitliniengerechte Behandlung, die durch das zusätzliche digitale System besser steuerbar ist – z.B. mit einem optimierten Medikamenteneinsatz – bringt für alle Entlastung. Auch das Bild des Patienten wandelt sich im Gesundheitssystem. Der Patient ist der Besitzer seiner Daten und gibt dieses Privileg nur bei Bedarf an medizinisches Fachpersonal oder Institutionen weiter.

Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit dem Fortschritt der Digitalisierung im Gesundheitswesen?

In der Vergangenheit hat Deutschland große Fehler gemacht, z.B. bei der Einführung der elektronischen Patientenakte. Die Bevölkerung wurde auf dem Weg zur Digitalisierung nicht richtig mitgenommen.

Derzeit trägt die verringerte Anzahl an Ärzten – gerade im ländlichen Raum – jedoch zur Digitalisierung und Entwicklung zusätzlicher Versorgungskomponenten bei. Zusätzlich kommt durch Herrn Spahn als Gesundheitsminister eine große Dynamik in das Feld. Insgesamt kommen wir zu der Erkenntnis, dass die Kosten im Gesundheitswesen durch die zusätzlichen Angebote der Telemedizin gesenkt werden können, was für eine größere Nachfrage in diesem Bereich sorgt. Es gibt allerdings noch viel zu tun, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben – beispielsweise die Umsetzung von medizinischem Wissen in optimale Betreuungsprogramme.

 Bitte vervollständigen Sie zum Abschluss den folgenden Satz: Wenn ich an ein digitalisiertes Gesundheitswesen denke, dann …

… denke ich an Telemonitoring von Vitalparametern, an Interventionsalgorithmen und Schulungsmodule. Die Bedürfnisse des Patienten stehen dabei im Vordergrund und sind durch einen kompetenten Ansprechpartner und durchgehende Erreichbarkeit gewährleistet. Das digitalisierte Gesundheitswesen steigert die Versorgungsqualität und sorgt für eine längere Lebenserwartung und bessere Lebensqualität der Betroffenen.


Prof. Dr. Wolfgang-Michael Franz, VP Medizinischer Direktor und Leiter Business Development der SHL Telemedizin GmbH, Mitglied der Geschäftsführung www.shl-telemedizin.de

Als Medical Director leitet Univ.-Prof. Dr. Wolfgang-Michael Franz den Transfer von wertvoller klinischer Erfahrung in innovative digitale Produkte zur Erweiterung der Patientenversorgung. In diesem Rahmen liegt ein besonderer Fokus auf der Nutzung von künstlicher Intelligenz. Im Rahmen des Business Development engagiert er sich mit Begeisterung für neue telemedizinische Lösungen, welche die Qualität und Effizienz der digitalen Betreuungsprogramme für Patienten verbessern. Seine jahrelange klinische Erfahrung leitet dabei den hohen medizinischen Anspruch der Produkte. Als international renommierter Wissenschaftler praktizierte er als Internist, interventioneller Kardiologe und Intensivmediziner über drei Jahrzehnte an Universitätskliniken in Heidelberg, Lübeck und München. Bis 2017 leitete er den Lehrstuhl für Kardiologie und Angiologie an der Medizinischen Universität in Innsbruck. Ferner war er als politischer Berater auf nationaler (Deutscher Bundestag) und internationaler (EU-Kommission) Ebene tätig. Derzeit ist er Mitglied des Münchner Kompetenzzentrums Ethik der LMU.

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