Wo sehen Sie, rückblickend auf die letzten zehn Jahre, die radikalsten Änderungen der Branche?
Die letzte große radikale Veränderung in der Musikbranche war mit Sicherheit die Entwicklung des mp3-Formats. Die Möglichkeit, Musikdateien auf 8% ihrer eigentlichen Ausgangsgröße zu reduzieren, hat ein neues Universum für Musik eröffnet. Von der Musikproduktion bis hin zum Konsum. Auch wenn das nun schon weit mehr als zehn Jahre zurückliegt, so war es dennoch die Grundlage für den nächsten entscheidenden Wandel, der 2008 stattfand.
Gleich drei Unternehmen haben in diesem Jahr die gesamte Musikindustrie auf den Kopf gestellt. Mit Soundcloud ging eine Plattform online, die es Jeder/m ermöglichte, jegliche Art von Audio-Inhalten im Internet hochzuladen, zu verbreiten und sich unmittelbares Feedback von anderen Nutzern einzuholen, ohne Filter durch Mittelsmänner. Mit Bandcamp ging im gleichen Jahr der erste digitale Record-Shop online, der es Künstler*innen erlaubt, ihre Musik in allen verfügbaren Formaten zum Preis ihrer Wahl anzubieten. Dazu muss ich sagen, dass für mich Bandcamp nach wie vor die brillanteste Online-Lösung für Musik ist. Sowohl für Musiker*innen, um ihre Musik zu vertreiben, als auch für Konsumenten, die neue Musik außerhalb einer Algorithmus-Blase entdecken möchten.
Die mit Sicherheit radikalste Änderung war allerdings der Abschluss von Lizenzverträgen aller Major-Labels mit Spotify im Jahr 2008: Der Startschuss für ein neues Ökosystem, das die Musikindustrie nachhaltig verändern sollte.
Bringt die Digitalisierung der Musikindustrie eher Vorteile oder Nachteile für die Akteure mit sich?
Ich denke für alle Akteure der Musikindustrie haben sich durch die Digitalisierung neue Horizonte eröffnet. Allerdings würde ich hier wieder differenzieren zwischen den Schöpfern bzw. Musiker*innen auf der einen Seite, und der eigentlichen Industrie, die Musik als Produkt versteht, das vermarktet und verwertet werden will, um daraus Umsätze zu generieren.
Musikproduktion ist durch die Digitalisierung definitiv demokratischer geworden. Wie bereits erwähnt, haben professionelle Musiker durch digitale Instrumente und Tools noch mehr Möglichkeiten, sich kreativ-musikalisch auszudrücken und tragen damit zu einer immer vielfältiger werdenden Musiklandschaft bei. Konsumenten wiederum haben heutzutage an jedem Ort und zu jeder Zeit Zugang zu jeglicher Art von Musik. Durch die Digitalisierung und den immer einfacher werdenden Zugang zu neuen Technologien können nun Kreative, die ursprünglich nicht in der Musikbranche zuhause waren, Produkte und Dienstleistungen entwickeln, die die weitere Evolution von Musik in allen denkbaren Bereichen ermöglicht, wodurch wiederum neue Wege für die Vermarktung und Verwertung von Musik entstehen.
Die Demokratisierung der Musikproduktion durch Digitalisierung und technologische Innovationen, erweitert auch den Kreis derer, die bislang aus Kostengründen vom kreativen Schaffensprozess ausgeschlossen waren und führt zu einem neuen Selbstverständnis von musikalischer Aus-/Bildung. In einer global vernetzten Welt können sich zudem Musiker*innen innerhalb von Sekunden über Kontinente hinweg austauschen. Dadurch entstehen Kollaborationen und Entdeckungen von neuen Talenten, die in einer pre-digitalen Welt nur schwer denkbar gewesen wären.
Nutzer haben Zugang – und oft die Qual der Wahl – zu einem Universum von frei und legal online verfügbarer Musik. Die über Jahrzehnte etablierte Gatekeeper-Rolle der Musikindustrie funktioniert auch an dieser Stelle nicht mehr so wie vor der Digitalisierung. Dennoch sprechen die vor kurzem veröffentlichten Umsatzzahlen dafür, dass sich die Musikindustrie mittlerweile weitestgehend transformiert und sich mit dem digitalen Zeitalter mehr als arrangiert hat.