Interview mit Dr. Michael Sander: Digitalisierung im Gesundheitswesen

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Sie haben bereits mehrere Veranstaltungen zu den Themen "Digitalisierung und disruptive Technologien" organisiert. Wo sehen Sie das größte Entwicklungspotential? Wo sehen Sie die größten Schwachstellen?

Wir zählen uns durchaus zu den Vorreitern in der Gesundheitsszene, die nicht allein ÜBER, sondern VON den Dingen reden. Deshalb hat meine Kollegin Frau Dr. Kade-Lamprecht bereits im April 2015 das Format „Ideenküche“ als eHealth-Veranstaltung in Berlin ins Leben gerufen. Damals noch mit der Techniker Krankenkasse als Hauptsponsor. Herausragend war 2015 der erste sogenannte Start-up-Pitch in der GKV. Wir waren die ersten, die den Krankenversicherungen Start-ups à la Jourvie, LifeTime, Patientus oder Tinnitracks präsentiert haben, die heute quasi „durchgereicht“ werden.

Großes Entwicklungspotenzial sehe ich insbesondere bei sogenannten Front-Office-Themen. Dies sind alles Prozesse, Themen und Projekte, die den Zugang und Service zum Kunden so gestalten, dass der Kunde stets das Gefühl hat: „Es geht um mich“.

Ein interessantes technologisches Stichwort ist dabei der „Customer Decision Hub“. Diese Technologie erfasst und analysiert das Verhalten der Kunden und Verbraucher, um daraus die Next-Best-Action für einen optimalen Kundenservice über alle Kundenkontaktkanäle in Echtzeit abzuleiten.

Der Customer Decision Hub – vergleichbar mit einem Superhirn, das über enorme Merkfähigkeit und Predictive Intelligence für Echtzeitmarketing verfügt – ist eine Entscheidungsschaltstelle, mit der Unternehmen intelligente Marketingentscheidungen treffen, um dem Kunden möglichst schnell und treffsicher das Produkt oder den Service anzubieten, den er braucht. Vergleichbar mit einem Tante-Emma-Laden aus der analogen Vorzeit, der auch immer wusste, was jedes Familienmitglied brauchte, sobald man den Laden betrat. Heute spielt sich die Beratung von „Tante Emma“ meist in Service Centern ab, deren Mitarbeiter eine technologische Unterstützung für die Kundeninteraktionen brauchen.

Bei den Schwachstellen greife ich zwei plakative Beispiele heraus, die das Thema Datenschutz betreffen:

Zum einen das Unterschriftserfordernis von Personen, die über der Jahresentgeltgrenze liegen und Mitglied einer Krankenkasse werden möchten. Diese dürfen nicht, beispielsweise im Rahmen einer eHealth-Anwendung, den Mitgliedsantrag digital unterschreiben; sie müssen ihre Unterschriften für Beitritte oder ähnliches stets noch schriftlich nachreichen, bevor ein Antrag gültig wird.

Pflichtversicherte hingegen dürfen elektronisch/online ihren Beitritt zu einer Kasse erklären. Dies verhindert effiziente digitale Prozesse, da es für eine Kasse keinen Sinn macht, nur für Teilsegmente ihrer Versicherten oder Zielgruppen einen digitalen Kanal anzubieten.

Zum anderen das Beratungsrecht von Krankenkassen versus geltende Datenschutzbestimmungen, die Versorgungsmanagement verhindern. Aus Sicht einer Krankenkasse gehört es zu ihrem Aufgabenspektrum, Versicherte bei deren Versorgung zu beraten. Hierzu gibt es auch isolierte Anwendungsfälle à la Integrierte Versorgung (IV) oder Strukturierte Behandlungsprogramme (DMP).

In der weit überwiegenden Zahl der Fälle darf eine Krankenkasse, insbesondere bei Schwerkranken, viele Daten gar nicht erheben und verarbeiten, um die Versicherten mit einer guten Versorgungslösung zu unterstützen. Dies darf eine Kasse selbst in dem Fall nicht, wenn der Versicherte in eine Datennutzung einwilligt und seine Kasse sogar explizit auffordern würde, ihm zu helfen. Hier hemmt der Datenschutz das Versorgungsmanagement und verhindert zusätzlich das souveräne Handeln von Patienten.

Die SBK beispielsweise schlägt das Instrument einer Datenverfügung vor. Ein Ansatz, den ich politisch für sehr konstruktiv halte, weil er Datenschutz und Patientensouveränität intelligent verknüpft."


Dr. Michael Sander

Dr. Michael Sander, Geschäftsführer von TCP Terra Consulting Partners GmbH, Lindau und Berlin, www.terraconsult.de.
TCP ist eine „Boutique“ mit Fokus auf Strategieberatung und Marktforschung in der Gesundheitswirtschaft.

Bisherige berufliche Stationen:

  • Director Healthcare Solutions bei Pegasystems GmbH
  • Hauptabteilungsleiter T-Mobile Deutschland für Datenfunk
  • Projektmanager Roland Berger Strategy Consultants München/Brüssel
  • Studium und Promotion an der Universität St. Gallen (HSG)

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