Oft dauern Umstellungsprozesse viel zu lange. Wo sehen Sie Hemmnisse und Hürden, die eine schnelle Umsetzung der Digitalen Transformation verhindern?
In den vorhandenen organisatorischen Strukturen dauern Umsetzungen zu lange. Die Umstellung auf kleinere, agilere Einheiten ist in vielen Unternehmen unabdingbar, um Entscheidungsprozesse zu beschleunigen. Ganz entscheidend ist eine Abkehr von unserer typisch deutschen Null-Fehler Kultur, die in einer Zeit, in der wir im globalen Wettbewerb mit dem Silicon Valley, asiatischen und skandinavischen Ländern stehen, nicht mehr angebracht ist, um ähnlich innovativ zu sein. Dazu kommt das fehlende Fachwissen, das fehlende bzw. unzureichende Mindset wie oben aufgeführt.
Stellen Sie bitte einen Branchenvergleich an: Welche Branchen sind schon sehr weit in Sachen Digitalisierung und welche Branchen haben Nachholbedarf? Wo steht dabei das deutsche Gesundheitswesen?
Die Digitalisierung ist überall da stark vorangeschritten, wo die Plattformökonomie schon Zugriff auf den Kunden hat. Amazon, Google, Facebook: Hier geht die Post ab. Außerdem media, finance und retail. Aber auch da wird sich noch extrem viel tun. Die Gesundheitsbranche jedenfalls birgt riesiges Potential, auch wenn Sie im Moment noch meilenweit zurückliegt.
Zur Gesundheitsbranche im Speziellen: Zuerst sollte klar sein, dass Digitalisierung in der deutschen Gesundheitsbranche noch sehr viel Potential hat. Der Monitoring-Report DIGITAL (2016) zeigt, dass die Gesundheitsbranche sich auf Rang 10 von elf Branchen platziert hat, wenn es um Digitalisierungsgrad geht. Es gibt zwei Hauptgründe: die geringe Investitionsbereitschaft, aber vor allem das fehlende Bewusstsein, dass Digitalisierung einen Mehrwert hat. Knapp die Hälfte der Gesundheitsunternehmen sieht keine Notwendigkeit zur Digitalisierung. Dabei ist Digitalisierung schon seit Ende der 1990er Jahren in Bewegung. Diese Zahlen geben Anlass zur Sorge und zeigen, dass es enormen Handlungsbedarf gibt.
Grund sind die Besonderheiten der Branche: Das Uno-Actu-Prinzip, die eingeschränkte Souveränität, die Unsicherheit der Konsumenten, die fehlende Transparenz und vor allem die starke Regulierung. Diese führt zu einem fehlenden freien Wettbewerb: Markt-Zugangsbeschränkungen von medizinischen Leistungen, Zwangsmitgliedschaft bei Krankenkassen, festgelegte Leistungskataloge, Finanzierung der Branche durch Beiträge und Steuern...
Dies ist aber kein Grund, um die digitale Transformation zu verschlafen. Es ist z.B. allseits bekannt, dass es immer mehr ältere und chronische Kranke in Deutschland gibt. Aber jedes Jahr hören wir die gleichen Aussagen der Akteure: es fehlt an Personal, vor allem in der Pflege. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen, sollte Digitalisierung die höchste Priorität haben! Es ist ein typisches Paradoxon, dass sich die Branche über Personalmangel und Zeitmangel beklagt, und dabei alle Dokumentationspflichten immer noch hauptsächlich in Papierform bestehen...